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Barbara Strohschein
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Werte schaffen durch Political Correctness?

23. Mai 2017 · 7 min. Lesezeit · Kategorie: Werte

Werte schaffen durch Political Correctness?

Was darf man sagen und was nicht

Werte schaffen durch Political Correctness?

Nur niemanden abwerten!

Warum eigentlich bemüht man sich heute so, niemanden zu benachteiligen durch (scheinbar) herabsetzende Bezeichnungen? Frauen, die putzen, sind nicht Putzfrauen, sondern Reinigungsfachkräfte. Behinderte sind nicht Behinderte, sondern Betreute, und Flüchtlinge sind zu Geflüchteten geworden. Soll mit diesen neuen Begriffen etwa versucht werden, Menschen zu achten?

So ehrenwert diese Versuche erscheinen, so sehr versteckt sich hinter ihnen keineswegs die Anerkennung, um die es eigentlich gehen sollte. Es scheint mir als Werte-Beraterin oftmals so, als würden diese Begriffe dazu benutzt, um nicht genau hinschauen zu müssen und um die eigentlichen Probleme nicht zu lösen: Anständigen Lohn für einfache Arbeit konsequent durchzusetzen, praktische Hilfe für Menschen mit Behinderungen und sinnvolle Planung für interkulturelles Lernen für Flüchtlinge und jene, die ihnen per Amt oder Ehrenamt helfen.

Durch eine neue Bezeichnung allein entsteht noch keine neue soziale Realität. Diese ist nur herzustellen schaffen durch Handeln, nicht allein durch Worte.

Alle dürfen alles sagen! Aber besser, man sagt nicht alles oder nichts!

Im krassen Gegensatz stehen heute einerseits die wüsten Beschimpfungen, die – oft im Schutz der Anonymität – im Internet verbreitet werden, mit dem Zwang andererseits, sich ja political correct zu äußern und zu verhalten. Die sogenannte Meinungsfreiheit steht dem Anspruch der Political Correctness gegenüber. Bestimmte Worte und kritische Einwände sind nicht erwünscht. Dass unflätige Sätze über jemanden abwerten sind, darüber braucht man sich nicht zu streiten, weil es offensichtlich ist. Dass aber im Political Correctness-Programmebenfalls eine Entwertung steckt – wird sehr oft übersehen. Die Entwertung in diesem Kontext geschieht dann, wenn jemand es wagt, etwas auszusprechen, was anderen nicht in den Kram passt. Oder wenn jemand etwas aufdeckt und analysiert, was stört, nicht gesehen werden will oder nicht in den „common sense“ passt. Der soziale Druck wird nicht nur auf Wissenschaftler ausgeübt, die nur die Ergebnisse der Wirtschaft liefern sollen, die kapitalbringend sind oder auf die Bevölkerung beschwichtigend wirken. (Wie in der Klimadebatte.) Der soziale Druck in Unternehmen, Gruppen, Teams usw. wird aber auch auf diejenigen ausgeübt, die etwas äußern, was keiner hören will: Weil es stört, weil es irritiert, weil es trennt und weil es etwas liebsam Gewordenenes in Frage stellt.

Das funktioniert dann so: Weil Sie eine andere Meinung haben, sind Sie mein Feind! Dann gehören Sie nicht mehr zu uns! Dann können wir auch leider Ihre weiteren Kommentare nicht mehr akzeptieren.

Nur sich nicht einmischen! Nur nichts kritisieren!

Durch diese merkwürdige Mischung aus Meinungsfreiheit und Unfreiheit durch die Kontrolle von pc, entsteht eine Schieflage. Notwendige Kritik wird häufig verwechselt mit einem vermeintlich ungerechtfertigten „Angriff“, den man bestrafen muss, z.B. durch Ausschluss aus einer Gruppe oder andere Sanktionen. Abwertende Äußerungen werden hingegen problemlos eingeordnet unter dem so beliebten Begriff der „Meinungsfreiheit“.

Dieses unvermittelte Gegenüber von Freiheit und Unfreiheit führt zu einer latenten oder offensichtlichen Verunsicherung: Was darf ich wo noch eigentlich sagen? Wer hat das Recht, wem gegenüber was zu kritisieren? Wer bestimmt eigentlich darüber?

Diese Verunsicherung korreliert mit einem allgemein menschlichen Wunsch.

Ich will dazugehören und anerkannt werden. Und wenn ich etwas tue oder sage, was anderen nicht in den Kram passt, bin ich weg vom Fenster – salopp formuliert.

Auf jeden Fall dazugehören!

Um sich political correct zu verhalten, werden verschiedene Methoden gewählt:

Schweigen: Ich sage lieber nichts, bevor ich womöglich etwas auf den Deckel bekomme.

Lobhudelei: Ich lobe etwas oder jemanden über alle Massen, um mir Anhänger zu sichern, auch wenn ich gar nicht wirklich von jemandem oder von etwas überzeugt bin.

Unterordnung: Ich verzichte auf Kritik, um nicht selbst kritisiert zu werden.

Man will sich ja „richtig“, und „anständig“ verhalten und äußern, um nicht selbst abgewertet oder ausgeschlossen zu werden. Oft werden diese Methode gar nicht gezielt oder bewusst angewendet. Sie sind aus Erfahrungen heraus internalisiert. Das Interessante dabei ist, dass sehr oft gar nicht klar ist, was „richtig“ und „anständig“ sein soll.Für die Beurteilung darübergibt es leider keine genauen Regeln, vielleicht abgesehen einer Maxime, die nach Immanuel Kant gilt: „Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füge keinem anderen zu.“

Um zu entscheiden, was „richtig“ oder „falsch“ sein könnte, kommt auf zweierlei an: A) auf den Kontext und B) auf die Art und Weise, wie man etwas sagt.Konkret: Kritik ist in einer sensiblen Gefühlssituation zwischen zwei Menschen manchmal genau der falsche Weg, um ein Problem zu lösen. Kritik in einem Team ist dringend nötig, um einen Aufgabe angemessen zu lösen und authentische Feedbacks zu geben.

Es ist zudem eine Frage des Gewissens: Ist es richtig, kommentarlos zuzuhören, wenn der Chef einen tüchtigen Kollegen zu Unrecht fertig macht? Ist es anständig, eine dringend notwendige Kritik an einem unhaltbaren Zustand zu unterlassen, weil „man“ es mit niemandem verderben will?

Klare Position beziehen – ein Kunststück?

Es ist heute anscheinend weitaus schwerer als früher – unter dem Diktum der Political Correctness – eine eigene Meinung zu äußern. Eine eigene Meinung zu haben setzt Vernunft, Verstand und Wissen voraus und ein gesundes Selbstbewusstsein. Wenn sich aber jemand benachteiligt und nicht akzeptiert fühlt, spielen Gefühle weit mehr eine Rolle als die Vernunft. Und Gefühle sind nicht immer nur ein guter Ratgeber, vor allem für jene, die sich von Kritik gekränkt fühlen und dann selbst kritisieren.

Die Emotionalisierung von politisch motivierter Kritik führt zu einer problembehafteten Akzeptanz von Pegida, AfD, Rechtsruck in vielen Ländern. Die Unzufriedenheit drückt sich in der Wut auf das Versagen der Politiker aus und in dem „Glauben“, durch einfache Sprüche und Versprechungen ließen sich z.B. die Flüchtlingsprobleme und die Bekämpfung des Terrorismus lösen.

Kritikfähigkeit als ein Zeichen von kreativer, analytischer Intelligenz, durch die überhaupt erst Probleme und deren Ursachen erkennbar und lösbar sind, werden heute gesellschaftlich und öffentlich wenig geschätzt. Das sieht man auch daran, wie Vordenker, Wissenschaftler und investigative Journalisten, die die Finger in die Wunden legen, an den Pranger gestellt werden.

Hochkonjunktur hat es, sich mit abwertenden emotionsgeladenen Äußerungen zu outen, weil wir ja in unserem Land die Meinungsfreiheit haben.

Diese Trends hängen mit einem Misstrauen der Kritik gegenüber zusammen. Mit der Fragen: Wer hat heute das Recht, wen oder was zu kritisieren? Ist die Kritik überhaupt begründet? Nützt Kritik denn noch etwas?

Ich bin der Meinung, dass wir heute dringender als je kluge Köpfe brauchen, die Licht in diesen Nebel zu bringen, der heute durch die Vermischung von Freiheit und Unfreiheit entstanden ist.

Ohne Durchblick gibt es auch keine wirksamen Problemlösungen.

Um überzeugend und fair Kritik zu üben, um Missstände zu beseitigen, gehört zugegeben viel: Sachwissen, Analysen, Qualitätsbewusstsein, begründete Urteile, die angemessen vermittelt werden und Mut, auch Ungewohntes auszusprechen, ohne auf Vorteile und Nachteile zu schielen.

Da aber die Informiertheit und die Informations- und Weiterbildungsmöglichkeiten heute so vorhanden sind wie noch nie, wären die Voraussetzungen dafür durchaus vorhanden. Außerdem kann man fast alles sagen – es fragt sich nur, wie!