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Barbara Strohschein
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Selbsterkenntnis statt Gekränktsein: Was wir von den Philosophen lernen können

26. August 2015 · 14 min. Lesezeit · Kategorie: Werte

Selbsterkenntnis statt Gekränktsein: Was wir von den Philosophen lernen können

In meinem Buch „Die gekränkte Gesellschaft“ habe ich mich ausführlich mit den Philosophen Sören Kierkegaard, Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche und Ernst Bloch befasst und gefragt:

  • Wie sind sie gekränkt worden?
  • Wie sind sie mit dieser Erfahrung umgegangen?
  • Welche Fragen haben sie?
  • Welche Antworten geben sie uns heute?

Alle vier sind sie Philosophen der Neuzeit, die sich mit dem Menschen und seinen Möglichkeiten sowie Grenzen befasst haben. Sie sind meine Lieblingsphilosophen, weil sie den Menschen erkunden und durchschauen, zum Teil weit mehr und tiefer als die moderne Psychologie. Sie bieten Wege zur Erkenntnis und Selbsterkenntnis und stellen das in Frage, was wir oft so selbstverständlich hinnehmen. Und sie geben Antworten auf unsere Fragen von heute.

Sören Kierkegaard (1813-1855)

Sören Kierkegaard wurde in Kopenhagen als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns geboren. Er wollte und sollte ursprünglich Pfarrer werden. Doch das Philosophieren über den Menschen schien ihm weitaus wichtiger als zu predigen.

Er studierte, schloss sein Studium mit einer Doktorarbeit ab und lebte eine Zeitlang als Dandy. Früh fing er an, unter verschiedenen Pseudonymen zu publizieren. Seine Schriften – vor allem sein zweibändiges Werk „Entweder-Oder“ – lösten viele Diskussionen aus. Sein Vater hinterließ ihm ein Erbe, das es Sören erlaubte, keinen bürgerlichen Beruf auszuüben. Er lebte als freier Philosoph und stand als tiefgläubiger Mensch der christlichen Kirche sehr kritisch gegenüber. Zunehmend wurde er von seinen Zeitgenossen missverstanden, angegriffen oder verspottet.

Mit nur 42 Jahren starb er und hinterließ ein philosophisches Werk, das den Existentialismus begründete. Kierkegaard wurde wegen seiner neuartigen Ideen zum Thema Gott und Kirche scharf von seinen Zeitgenossen angegriffen und sogar lächerlich gemacht.

Fragen, zu denen Kierkegaard anregt

  • Wie können wir verhindern, uns schuldig zu fühlen oder uns schuldig zu machen?
  • Wie können wir Schuldgefühle überwinden?
  • Was hilft uns, integer zu sein und zu bleiben?
  • Wie erreichen wir innere Unabhängigkeit?

Kierkegaards Antworten

  • Wir können unser Gewissen befragen und uns dementsprechend entscheiden.
  • Schuldgefühle können wir uns eingestehen und uns vergeben und verzeihen.
  • Wir können uns ethisch, ästhetisch und religiös orientieren, wenn wir unser Selbstwertgefühl stärken wollen und vor uns gerade stehen wollen.
  • Wir können ein hohes Maß an innerer Unabhängigkeit erreichen, wenn wir uns selbst gegenüber verantworten und uns nicht von der Meinung anderer bestimmen lassen.

Zentrale Gedanken von Sören Kierkegaard (Zitate aus seinem Werk)

  • „Es ist wahr, was die Philosophie sagt, dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den anderen Satz, dass es vorwärts gelebt werden muss.“
  • „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“
  • „Das Leben ist kein Problem, das man lösen muss, sondern eine Wirklichkeit, die man erfahren muss.“
  • „Die Menschen scheinen die Sprache nicht empfangen zu haben, um die Gedanken zu verbergen, sondern um zu verbergen, dass sie keine Gedanken haben.“
  • „Es gibt viele Freuden in unseres Herrgotts Welt, nur muss man sich auf das Suchen verstehen.“
  • „Wer zu lange ein Auge zugedrückt hat, wird erstaunt sein, wenn ihm beide plötzlich aufgehen.“
  • „Es ist nicht zu glauben, wie schlau und erfinderisch die Menschen sind, um der letzten Entscheidung zu entgehen.“
  • „Die Menschen sind doch sonderbare Wesen. Die Freiheit, die sie haben, benutzen sie nicht, aber verlangen die, die sie nicht haben. Sie haben Denkfreiheit und verlangen Redefreiheit.“

Arthur Schopenhauer (1788-1860)

Arthur Schopenhauer wurde in Danzig geboren, als Sohn eines sehr wohlhabenden Kaufmanns und einer begabten und temperamentvollen Mutter, die eine bekannte Schriftstellerin wurde und mit Goethe befreundet war.

Arthur wuchs als Knabe in Hamburg auf und machte dort auf Druck und Wunsch seines Vaters eine Kaufmannslehre. Erst nach dem Tod des Vaters entschied Arthur sich, mit Erlaubnis seiner Mutter, Abitur zu machen und zu studieren. Nur kurze Zeit war er als Professor in Berlin tätig – in Konkurrenz zu Hegel – um sich dann nur noch als Privatgelehrter seiner Philosophie zu widmen.

„Wille“ und „Vorstellung“ sind die zentralen Begriffe seiner Philosophie: „Wille“ ist Lebenstrieb, die „Vorstellung“ steht vor der Realität. Jeder Mensch hat demnach Lebenstrieb und Vorstellungskraft, die ihn antreiben und ihn bedingen. Schopenhauer knüpft in seinem Denken unter anderem an Platon und Buddha an. Schopenhauer litt durchaus darunter, dass sich jahrelang niemand für seine Philosophie interessierte. Und er freute sich wie ein Kind, als kurz vor seinem Lebensende immer mehr Menschen auf ihn aufmerksam wurden und seine Bücher lasen.

Fragen, zu denen Schopenhauer anregt

  • Wie können wir lernen, durch Unbeherrschtheit nicht immer wieder in die gleichen Fallen zu tappen, die unser Selbstwertgefühl untergraben? (Ich hab es wieder nicht geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören, weniger zu essen, nicht soviel Sex zu haben usw.)
  • Wie schaffe ich es, unabhängiger vom Urteil meiner Mitmenschen zu werden?
  • Wie schaffe ich es, meinen inneren Schweinehund zu überwinden?
  • Wie stärke ich meine Willenskraft, um selbstbestimmter zu leben?

Schopenhauers Antworten

  • Wir können Selbstbeherrschung durch Selbstbeobachtung und konsequentes Handeln lernen.
  • Man kann sich die Urteile von anderen anhören, ohne sich mit ihnen zu identifizieren.
  • Ich überwinde mich, etwas zu tun, was mir schwer fällt und fühle mich erfolgreich, wenn mir dies gelingt.
  • Ich mache mir bewusst, wie sehr ich leide, wenn ich von anderen bestimmt werde und entscheide mich bewusst und unbeirrbar, meinen eigenen Weg zu gehen.

Zentrale Gedanken von Schopenhauer

  • „Man kann das Leben mit einem gestickten Stoff vergleichen, von welchem jeder in der ersten Hälfte seiner Zeit die rechte, in der zweiten aber die Kehrseite zu sehn bekäme: letztere ist nicht so schön, aber lehrreicher; weil sie den Zusammenhang der Fäden erkennen lässt.“
  • „Wie töricht, zu bedauern und zu beklagen, dass man in vergangener Zeit die Gelegenheit zu diesem oder jenem Glück oder Genuss hat unbenutzt gelassen! Was hätte man denn jetzt mehr daran? – die dürre Mumie einer Erinnerung.“
  • „Ein glückliches Leben ist unmöglich: das höchste, was der Mensch erlangen kann, ist ein heroischer Lebenslauf.“
  • „Das Leben ist ein missliche Sache: Ich habe mir vorgesetzt, es damit hinzubringen, über dasselbe nachzudenken.“
  • „Die Gegenwart zu genießen und dies zum Zwecke seines Lebens zu machen, sei die größte Weisheit: weil ja jene allein real, alles andere nur Gedankenspiel wäre. Aber ebenso gut könnte man es die größte Torheit nennen: denn was im nächsten Augenblicke nicht mehr ist, was gänzlich verschwindet wie ein Traum, ist nimmermehr eines ernstlichen Strebens wert.“
  • „Große Leiden machen alle kleineren gänzlich unfühlbar und umgekehrt. Bei Abwesenheit großer Leiden quälen uns selbst die kleinsten Unannehmlichkeiten.“
  • „Die Heiterkeit und der Lebensmut unserer Jugend beruht zum Teil darauf, dass wir bergauf gehend, den Tod nicht sehn; weil er am Fuß der andern Seite des Berges liegt.“

Friedrich Nietzsche (1844-1900)

Friedrich Nietzsche wurde als Pfarrerssohn in Röcken geboren. Sein Vater starb, als Nietzsche noch ein kleiner Junge war. Als hervorragender Schüler in dem berühmten Internat Schulpforta glänzte er bereits. Weil seine Leistungen an der Universität in Leipzig ausgezeichnet waren, wurde er als ganz junger Mann zum Professor für Altphilologie nach Basel berufen.

Doch so früh wie er anfing, zu lehren, so früh hörte er wieder auf. Der Lehrbetrieb war ihm zu viel. Er zog als denkender und schreibender Philosoph mit einer kleinen Pension von Ort zu Ort und lebte am liebsten im Engadin und in Turin. Der Pfarrerssohn war, so bescheiden er lebte, ein unbescheidener, kühner und radikaler Denker. Er proklamierte die Umwertung aller Werte, sprach und schrieb vom Menschen, der zu einem Übermenschen werden sollte.

Später wurden seine Begriffe und Gedanken von den Nazis missdeutet und missbraucht. Nietzsches Kampf um seine neuartige Gedankenwelt überstieg seine Kräfte. Er wurde wahnsinnig und war die Jahre bis zu seinem relativ frühen Tod nicht mehr ansprechbar. Er hatte für seinen philosophischen Mut, Denkgrenzen zu überschreiten, in einsamen Höhen einen hohen Preis bezahlt.

Fragen, zu denen Nietzsche anregt

  • Wie kann ich über meine Prägungen hinauswachsen, um nicht in Gewohnheiten stecken zu bleiben
  • Wie erreiche ich es, innere Freiheit zu erreichen?
  • Wie kann ich mich aus schädlichen Abhängigkeiten befreien?
  • Wer hat das Recht, mir etwas vorzuschreiben?

Nietzsches Antworten

  • Um nicht steckenzubleiben und im Alltag zu ersticken, muss man es wagen, neu zu denken.
  • Innere Freiheit zu erreichen, bedeutet, alles was ist und war, gründlich in Frage zu stellen.
  • Abhängig zu sein, heißt immer, sich zu unterwerfen. Man muss das Risiko eingehen, auch allein seines Weges zu sehen, ohne auf andere und sich selbst immer Rücksicht zu nehmen.
  • Niemand hat das Recht, mir etwas vorzuschreiben. Weil ich denken und fühlen kann, bin ich auch fähig, über mich hinauszuwachsen und selbstbestimmt mein Leben zu führen.

Zentrale Gedanken von Nietzsche

  • „Man wird selten irren, wenn man extreme Handlungen auf Eitelkeit, mittelmäßige auf Gewöhnung und kleinliche auf Furcht zurückführt.“
  • „Man muss ein gutes Gedächtnis haben, um gegebene Versprechen halten zu können. Man muss eine starke Kraft der Einbildung haben, um Mitleid haben zu können. So eng ist die Moral an die Güte des Intellekts gebunden.“
  • „Die moderne Wissenschaft hat als Ziel: so wenig Schmerz wie möglich, so lange leben wie möglich – also eine Art von ewiger Seligkeit, freilich eine sehr bescheidene im Vergleich mit den Verheißungen der Religionen.“
  • „Wenn die Tugend geschlafen hat, wird sie frischer aufstehen.“
  • „Die meisten Menschen sind viel zu sehr mit sich beschäftigt, um boshaft zu sein.“
  • „Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden.“
  • „Man lobt und tadelt, je nachdem das eine oder andere mehr Gelegenheit gibt, unsere Urteilskraft leuchten zu lassen.“
  • „Alles aber ist geworden; es gibt keine ewigen Tatsachen: so wie es keine absoluten Wahrheiten gibt. – Demnach ist das historische Philosophieren von jetzt ab nötig und mit ihm die Tugend der Bescheidung.“
  • „Der Beruf ist das Rückgrat des Lebens.“
  • „Die erste Meinung, welche uns einfällt, wenn wir plötzlich über eine Sache gefragt werden, ist gewöhnlich nicht unsere eigene, sondern nur die landläufige unsrer Kaste, Stellung, Abkunft zugehörige; die eignen Meinungen schwimmen selten obenauf.“
  • „Halbwissen ist siegreicher als Ganzwissen: es kennt die Dinge einfacher, als sie sind, und macht daher seine Meinung fasslicher und überzeugender.“

Ernst Bloch (1885-1977)

Ernst Bloch war Sohn eines Eisenbahnbeamten. Er wurde jedoch nicht Lokomotivführer, sondern steuerte stattdessen mutig ins „Noch-Nicht“. Schon als junger Mann fesselte er seine begabten und reichen Freunde wie u.a. den Philosophen Georg Lukács mit seinen grenzüberschreitenden Ideen und Geschichten.

Er durchdrang mit seinem Wissen alles, was Menschen an Kulturleistungen geschaffen haben – mit der Frage: Welche Hoffnungsinhalte werden sichtbar? Wie gestalten und verbessern Menschen das Gegebene? Wie können wir aus dem kulturellen Reichtum Kraft schöpfen?

Bloch zeigt, wie die Utopien von früher die positiven Fortschritte heute in unserem Leben vorbereitet haben. Als jüdischer Intellektueller emigrierte er mit seiner Frau Karola in letzter Minute nach Amerika, wo er sein Hauptwerk „Prinzip Hoffnung“ schuf. Bloch war jahrzehntelang nicht anerkannt und sah sich selbst als „Mister Nobody“. Dieser Mangel an öffentlicher Anerkennung hat ihn nie wirklich beeinträchtigt, weil er die Welt und sein Leben immer voller Möglichkeiten sah.

Fragen, zu denen Bloch anregt

  • Wie können wir das Hoffen lernen?
  • Wie gehen wir mit Enttäuschungen um?
  • Wie können wir Tagträume in der Realität wirklich werden lassen?
  • Was können wir tun, damit wir nicht Opfer der Geschichte, sondern Gestalter der Realität werden?

Blochs Antworten

  • Das Hoffen kann man lernen, indem man die Realität auf ihre Möglichkeiten hin überprüft.
  • Enttäuschungen sind ein Anlass, über den nächsten Schritt und die nächsten Chancen nachzudenken und anders als vorher zu handeln.
  • Tagträume sind dann realistisch, wenn man anfängt, sich schrittweise zu verwirklichen.
  • Wir können unsere Gesellschaft gestalten, indem wir mit anderen die Möglichkeiten, die noch nicht gedacht wurden, denken und das umsetzen, was vorher unmöglich schien.

Zentrale Gedanken von Bloch

  • „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.“
  • „Das Leben aller Menschen ist von Tagträumen durchzogen, darin ist ein Teil lediglich schale auch entnervende Flucht, auch Beute für Betrüger, aber ein anderer Teil reizt auf, lässt mit dem schlecht Vorhandenen sich nicht abfinden, lässt eben nicht entsagen. Dieser andere Teil hat das Hoffen im Kern, und er ist lehrbar.“
  • „Denken heißt Überschreiten.“
  • „Die Liebe ist eine Reise in ein gänzlich neues Leben.“
  • „Das Reich der Freiheit kommt auch nicht mit stufenweiser Verbesserung der Gefängnisbetten.“
  • „Wenn man keine Autorität hat, braucht man Macht.“
  • „Es gehört zum Wesen der Hoffnung, dass sie enttäuscht werden kann, sonst wäre sie ja Zuversicht.“
  • „Die Philosophen sollen die Welt nicht interpretieren, sondern verändern.“
  • „Die Menschen haben keinen aufrechten Gang, wenn das gesellschaftliche Leben noch schiefliegt.“
  • „Es gibt Untaten, über die kein Gras wächst.“
  • „Man nimmt sich immer mit, wohin man geht.“
  • „Geschultes Selbstdenken nimmt nichts als fix und fertig hin, weder zurechtgemachte Fakten noch totgewordene Allgemeinheiten noch gar Schlagworte voller Leichengift.“
  • „Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern.“
  • „Die Zeit ist eine Uhr ohne Ziffern.“

Wenn Sie mehr wissen wollen über das Gekränktsein, über Selbsterkenntnis und die Philosophen Kierkegaard, Schopenhauer, Nietzsche und Bloch – dann lesen Sie mein Buch: Die gekränkte Gesellschaft. Das Leiden an Entwertung und das Glück durch Anerkennung.