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Barbara Strohschein
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Nächstenliebe in Krisenzeiten

Aus der Sicht einer Philosophie der Anerkennung

28. Mai 2020 · 10 min. Lesezeit · Kategorie: Sinn, Werte

Nächstenliebe in Krisenzeiten

Menschliche Licht- und Schattenseiten

Auf Krisen, wie die Pandemie, reagieren die Menschen mit Nächstenliebe und  Hilfsbereitschaft, Reglements und Hysterie, mit Verdächtigungen, Wahnideen und mit  der Angst vor dem Tod. Und viele Fragen stehen im Raum: Wer hilft wem mit welchen Motiven? Wer wehrt sich wie gegen welche Einschränkungen? Wer wird warum verdächtigt?

Vor allem aber sind Empathie und Vernunft gefragt, wenn Katastrophen konstruktiv zu bewältigen sind - mit Mitgefühl für die Betroffenen und vernünftigen Maßnahmen, um den Schaden zu begrenzen.

Es wäre ein interessantes Unterfangen zu untersuchen, wie weltweit die Regierungen mit dieser Krise umgehen. Beschützend und fürsorglich? Streng und regulierend? Verdrängend? Hektisch? Schwankend? Wie wirkt sich das Verhalten der Entscheidungsträger auf die Bevölkerung aus? Wird hier nicht auch Hilfe zum Problem?

Denn wie fühlen sich diejeinigen, die abgeriegelt werden? Die keine hinreichende Unterstützung bekommen? Die sich eingeschränkt und bevormundet fühlen? 

Wie wird wiederum mit den Experten und Wissenschaftlern umgegangen, wie den Virologen, die in der ersten Phase der Krise als die Aufklärer und Retter in spe wahrgenommen werden und dann zu Buhmännern abgestempelt werden, die den Regierungen die Argumente für massive Einschränkungen für die Bevölkerung zu liefern?

Die Parallele zu der Klimakrise ist evident. Jedoch mit einem Unterschied: Die Furcht vor Viren geht im wahrsten Sinne unter die Haut. Der Klimawandel hingegen nicht. Aber auch hier steht die Frage an, wie mit aktuellen und langfristig drohenden Katastrophen umgegangen wird. Mit Menschenfreundlichkeit und Verantwortung? Und wer fühlt eigentlich mit den Experten mit, die die vorläufige Wahrheit sagen und Empfehlungen abgeben und dafür an den Pranger gestellt werden? Und wer ist bereit, mit den Entscheidern mitzudenken, die Regeln aufstellen müssen, um Menschen zu schützen und die dafür angegriffen zu werden?

Was ist Nächstenliebe überhaupt? Und warum wird sie so oft gleichgesetzt mit den christlichen Ideal des Teilens und Helfens, ohne dass darüber nachgedacht wird, wie es denen geht, die helfen und denen, den geholfen wird?

Mich hat es gewundert, mit welcher Schnelligkeit die deutschen Behörden mit Hilfsprogrammen auf die Nöte in der Bevölkerung reagiert haben. Aber könnte man sagen, hier sei Nächstenliebe am Werk? Dieses "Helfen" löst ja nicht nur Probleme, sondern schafft offensichtlich neue. Denn was wird auf diese Hilfsaktionen folgen? Ein finanzieller Crash mit mindestens ebenso schlimmen Auswirkungen wie die Krankheit durch Corona? Kein Mensch weiß es.

Diese aktuellen Probleme werfen diese Fragen auf: Liegt die Fähigkeit zur Nächstenliebe in der Natur des Menschen? Welche Schwierigkeiten tauchen auf, wenn Menschen privat oder kollektiv Hilfe brauchen? Und welche Maßstäbe werden dann für wen und von wem angelegt? 

Zudem steht hinter diesen Frage steht ein alter Streit über das Grundwesen des Menschen. Sind Menschen primär egoistische  Wesen, die nur auf ihren Vorteil bedacht sind? Die vor allem nichts anderes wollen, als einen bequemen Status quo zu erhalten und jede risikoreiche Veränderung zu vermeiden? Oder sollte es stimmen, was der dänische Wissenschaftsjournalist Tor Norretranders in seinem Buch beschrieb und zu beweisen suchte: „Homo generosus. Warum wir Schönes lieben und Gutes tun.“ Um diese schöne Hoffnung - gerade in Corona-Zeiten - unter die Lupe zu nehmen, schreibe ich diesen Beitrag. 

Was ist eigentlich Nächstenliebe?

An allererster Stelle würde ich Nächstenliebe als eine Haltung der Anerkennung beschreiben.  Jeder Mensch ist irgendwann einmal im Leben mit Krisen und Nöten konfrontiert. Viele Menschen auf der Welt leben dauernd in Krisen und Nöten, die sie nicht selbst verursacht haben. Die Anerkennung, d.h. die Wahrnehmung dieser Nöte und das daraus folgende Handeln ist ein entscheidender Aspekt der Nächstenliebe.

Nicht nur durch die altbekannte Geschichte von Sankt Martin der seinen Mantel teilte, hat das Christentum seine vorrangige Deutung von Nächstenliebe für sich beansprucht. Im Neuen Testament in Matthäus 5 wird die Nächstenliebe sogar ausgeweitet zur „Feindesliebe“ - eine Universalisierung eines christlichen Liebesgebotes: Nicht nur die Hilfsbedürftigen seien zu lieben, sondern auch der Feind. Halten wir einmal den Atem an: Welch ein hohes Ziel! Stellen Sie sich in diesem Moment vor, Sie müssten einen verhassten Kollegen lieben oder einen gewaltgesteuerten Terroristen, der für den IS-Staat das nächste Attentat plant. Vielleicht würden Liebe und Verständnis genau das sein, was Feinde zu Freunden machen könnten?

Diese neutestamentliche Liebesethik steht im krassen Gegensatz zu dem alttestamentarischen Motto: Aug um Auge, Zahn um Zahn. Insofern hat wahrlich ein Wertewandel in der Bibel stattgefunden. Aber kann das Christentum des Neuen Testamentes, die Nächstenliebe betreffend,  eine Alleinstellung für sich beanspruchen? Gewiss nicht. Im Judentum, im Buddhismus, im Hinduismus, und im Islam, der Religion, die am allerersten in Verdacht steht, Gewalt statt Nächstenliebe zu predigen, ist Nächstenliebe nicht nur ein Ideal, sondern wird auch selbstverständlich von Gläubigen erwartet. Das vereint alle Religionen: Das Gebot der Nächstenliebe soll die Menschen daran erinnern, dass sie ein Ebenbild Gottes sind und deshalb die Nächstenliebe zwischen Menschen der Liebe zu Gott gleichwertig ist. Die Gabe von Almosen ist im Judentum ein Ausdruck der Nächstenliebe und eine Verpflichtung. Im Buddhismus leben Bettelmönche von Almosen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Und die Gläubigen sehen ihr Glück darin, Almosen für die Mönche zu spenden. Für einen Moslem gehört es zu seiner Glaubenspflicht, Almosen zu geben. Dies zu tun, gehört zu den den fünf Säulen eines gottgefälligen Lebens. Ähnlich wie die buddhistischen Bettelmönche leben manche Sufis, die Mystiker des Islam, von Almosen. Und im Sufismus generell bedeutet Nächstenliebe durch Almosen ein Sieg über die Selbstsucht und den Geiz.

Nächstenliebe nur mit Gott?

Bis jetzt mag es so klingen. Das scheint - trotz aller Unterschiede zwischen den Religionen - auch logisch. „Weil ich an Gott glaube, Gott mich liebt, liebe ich mich und andere.“  Wäre nun der Schluss daraus zu ziehen, dass Atheisten nicht fähig wären zur Nächstenliebe, weil sie ja nicht an Gott glauben? Natürlich nicht. Nächstenliebe ohne Gott praktizieren auch die Menschen, die mit anderen mitfühlen und den Wunsch haben, zu helfen.

Wie es die nachfolgende und beispielhafte Story zeigt. Eine deutsche Familie gibt Flüchtlingen  eine Heimat. You Tube: Furchtbare Kriegsbilder aus Syrien. Auf Anna, eine junge, erfolgreiche, verheiratete Geschäftsfrau wirken sie nachhaltig. Ist es die Verwüstung von Aleppo, die Verletzen in den Trümmern, die Ohnmacht der Frauen und Kinder, die herumirren und Schutz suchen,  die Anna anrührt? Nachdem Anna sich mit ihrem Mann Georg und ihren zwei Kindern geeinigt hat, lässt sie sich mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten verbinden und bietet an, eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen.  Es dauert nicht lange, bis ihr Angebot angenommen wird. Eine Mutter und ihre drei halbwüchsigen Kinder ziehen in Annas und Georgs Gartenhaus ein. Annas Kinder akzeptieren die Neuankömmlinge. Trotz Sprachprobleme nähert man sich an. Die Flüchtlingsfamilie steht noch unter Schock, der Vater wurde ermordet vor den Augen seiner Kinder. Nicht nur die Strapazen der Flucht sind den Flüchtlingen anzumerken, die traumatischen Erlebnisse wirken nach. Annas Familie tut viel, um diesen Menschen ein Gefühl von Geborgenheit zu geben.  Anna ist nicht religiös.

 Kann Nächstenliebe zum Gesetz werden?

Kein Mensch kann zur Liebe, geschweige denn zur Nächstenliebe gezwungen werden. Es hängt von vielen Faktoren ab, ob jemand zur Nächstenliebe fähig und bereit ist: Positive eigene Erfahrungen, früh erlebte Elternliebe, Selbsterkenntnis und die Absicht, aufgrund eines früh erlebten Mangels an Liebe selbst zum Liebenden werden zu wollen. Aufmerksamkeit, eine gute innere Verfassung und die Fähigkeit, hinzuschauen, wer welche Hilfe braucht.

Nächstenliebe ist weder angeboren noch selbstverständlich vorauszusetzen. In empirischen Untersuchungen über das soziale Verhalten von Menschen stellte sich heraus, dass Passanten in einer Großstadt achtlos und gefühllos an notleidenden alten Menschen vorübergehen, ja sie nicht einmal bemerkt haben. In anderen Test zeigte sich, dass Menschen eher bereit sind, auf materielle Vorteile zu verzichten und anderen helfen, wenn ihnen damit soziale Akzeptanz gewährleistet wird. Das wäre ein Indiz dafür, dass Helfen auch mit Erwartungen an die verbunden ist, denen geholfen wird: Nämlich ebenfalls und mindestens eine Anerkennung.

Jedoch - braucht man wirklich Untersuchungen, um den Mangel an und die Fähigkeit zur Nächstenliebe bestätigt zu sehen? Eigene Erfahrungen und alltägliche Beobachtungen geben die Antwort: Selbst Gläubigen - gleich welcher Religion - kann passieren, dass sie keine Lust und keinen Willen haben, jemandem zu helfen. In diesem Fall ist jemand nicht aufmerksam, fühlt sich selbst womöglich hilfsbedürftig, weiß nicht, wie zu helfen wäre, zweifelt, ob Hilfe wirklich hilft. Oder, was auch passieren kann: jemand ist gar wütend, dass jemand in Not nicht für sich selbst sorgt!

Was also tun, wenn weltweit immer mehr Menschen notleidend und in Lebensgefahr sind - durch Pandemien, Kriege, Terror und Naturkatastrophen? Selbst in den reichen Industriestaaten nimmt die Armut zu. Auch wenn die Corona-Krise irgendwann beendet sein wird, die weltweite Not für viele viele Menschen auf der Welt wird bleiben und eher zunehmen.

In einer aufgeklärten Demokratie wie Deutschland wird versucht, die zahlreichen Probleme Notleidender  durch Regelungen und Gesetze zu lösen.  Allen voran mit  dem Verweis auf den bereits erwähnten Artikel 1 des Grundgesetzes.

Doch mittlerweile nimmt die Kritik einer Bewegung zu, deren Vertreterinnen und Vertreter sich in ihrer Menschenwürde durch die massiven Einschränkungen zu ihrem und dem Schutz der anderen vor Ansteckungen verletzt sehen.

Mit Gesetzen wird Nächstenliebe und Mitgefühl nicht mitgeliefert. Im Gegenteil. Gesetze werden als Einschränkungen kritisiert. Und diese Kritik macht wiederum auch den Mangel an Vorstellungskraft und Empathie deutlich: Kein Kritiker der Schutzmaßnahmen würde es gut  ertragen, selbst auf der Intensivstation mit einer schweren Corona-Erkrankung zu liegen oder einen nahen Verwandten an Corona sterben zu sehen. Kein Kritiker der Flüchtlingspolitik würde selbst gern die demütigende Erfahrung machen, tagelang vor den Ämtern Schlange zu stehen, in Massenunterkünften ohne eigene Privatsphäre tatenlos vor sich hinzuvegetieren mit wenig Aussicht auf neue Perspektiven.

Aus diesen einfachen Feststellungen liesse sich der Schluss ziehen, dass Nächstenliebe eben nicht allein oder gar nicht durch Gesetze geregelt werden kann. Sie funktioniert offensichtlich nur in persönlichen Beziehungen, - in einer globalisierten Welt, in der es alles andere als menschenfreundlich zugeht.

 

Wie Nächstenliebe zum Feigenblatt wird

Vielleicht gerade weil Nächstenliebe, so gesehen, nicht zu „verstaatlichen“ ist, sind die positiven privaten Hilfsaktionen um so wichtiger. Doch auch hier möchte ich ein Blick auf die Schattenseiten werfen.

Vor allem zur Weihnachtszeit wird gern geholfen und gern davon berichtet, in welcher Lage die Bedürftigsten sind und wie ihnen geholfen wird:

Arnim, der halbseitig gelähmt ist und seit Jahren arbeitslos. Er bekommt Besuch vom Pfarrer und einen Geschenkkorb. Sigurd, der zum dritten Mal einen Selbstmordversuch begangen hat, weil er eine schwere Krankheit hat und nicht ausreichend krankenversichert ist. Ehrenamtliche Helfer besuchen ihn zuhause, lesen ihm Geschichten vor und bringen ihm immer ein Stück Kuchen mit. Erika, die als fünfundsiebzigjährige Rentnerin von 650 Euro im Monat leben muss, Größe 50 trägt und keinen passenden warmen Mantel aus der Altkleidersammlung findet. Aber sie hat ja eine gütige und wohlhabende Schwester, die ihr einen ausrangierten Kaschmirschal und 50 Euro schenkt. Ludwig, der durch verantwortungslose Finanzberater seine Ersparnisse falsch angelegt und verloren hat und seit Jahren unter Verfolgungswahn leidet. Er bekommt von einem reichen Unbekannten, wie in einer Fernsehsendung dokumentiert wird, einen Scheck von 1000 Euro überreicht und hat nun froh und dankbar zu sein.

Dass die Arbeitslosigkeit durch die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt zustande kommt; dass skrupellose Finanzberater es zu verantworten haben, dass das mühsam Ersparte eines Facharbeiters für die Katz war; dass  Arme die hohen Krankenversicherungen nicht mehr bezahlen können, fällt in diesen Berichten vollkommen unter den Tisch. Genauer gesagt, es wird öffentlich nicht mit kommuniziert, dass diese Vorfälle auch und vor allem gesellschaftlich bedingt sind und nicht auf die Dummheit und Unfähigkeit der Betroffenen zurückgeführt werden dürfen, wie es ungerechterweise oft geschieht. Der Wissenschaftsjournalist Holdger Platta spricht von einer „Entpolitisierungsschreibe“:…“mit einem schicksalshaften Gegebenheitston – ja, oft muss man sogar sagen, mit diesem schicksalshaften Ergebenheitston.“ „Weil“, wie er schreibt,  „die kleine Rente“ unkritisiert bleibe, „bekommt sie denselben Status zuerkannt wie die lange Krankheit: man kann halt nix dagegen machen.“ Der Autor kommentiert diese Tatsachen mit dem abgewandelten Satz aus Brechts Stück über Galileo Galilei: „Großartig das Land, das solche Hilfsbereitschaft kennt! Schande über ein Land, das solche Hilfsbereitschaft braucht!“  Wenn Martin sein kostbares Gewand zerschneidet, um einem frierenden Bettler zu helfen, dann verändert sich dadurch nicht eine durchaus auch menschenfeindliche Gesellschaft.

Wozu Menschen in der Lage sind - oder auch nicht

Menschen sind widersprüchliche und keineswegs nur vernünftige Wesen. Sie sind auch keine Sozialautomaten, die das tun, was man von ihnen erwartet. Daraus folgt auch, dass kaum ein Mensch konsequent dem Ideal der Nächstenliebe entsprechen kann, unabhängig davon, ob dieses Ideal religiös motiviert ist oder nicht. Das haben Ideale als Wertorientierung so an sich: Sie sind als Maßstab wichtig, aber sie sind niemals  perfekt als Verhaltensregel in die Wirklichkeit umzusetzen. 

Wie ich schon sagte: Es gibt viele Gründe dafür, dass jemand sich nicht im Geringsten darum kümmert, dass ein anderer Hilfe braucht: Unachtsamkeit, eigene Bedürftigkeit, Wut, weil die Hilfsbedürftigkeit eines anderen an eine eigene Wunde rührt und pure Selbstbezogenheit.

Abgesehen davon sind die maßgeblichen Kriterien, die heute in der Leistungsgesellschaft gelten, der Nächstenliebe nicht gerade förderlich: Die Ich-Kultur, das Macht- und Gewinnstreben, die Isolierung durch  Computer und Smartphones, die tabuisierten seelischen Nöte trotz Wohlstand und Erfolg. Insofern steht das Gebot der Nächstenliebe im Kontrast zu den verinnerlichten Maßstäben von Perfektion und Erfolg und zu den Mangelgefühlen, die das Leben vieler Menschen - auch der Reichen und Erfolgreichen - heute beherrscht, trotz Wohlstand und vieler staatlich gewährleisteter Hilfen.

Und außerdem: Wer gibt schon gern zu, sich bedürftig zu fühlen? Und gesteht sich und anderen schon gern ein, Hilfe zu brauchen, in einer Gesellschaft, in der jeder, der nicht so funktioniert, wie „man“ es erwartet, abgewertet wird als Versager und Schwächling? Hilfe zu brauchen, wird sehr oft als Anlass gesehen, sich wertlos zu fühlen. Jedoch: Wenn man das gesellschaftliche Ganze als „falsch“ ansieht, in dem man nicht „richtig“ leben kann, dann ist diese Zufälligkeit der Nächstenliebe ein Unrecht, das mit ihr geschieht. Das ist ein Aspekt, den die Philosophen Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ zur Sprache brachten. Der Adornosche Satz, den ich hier pointiert zusammenfasse:  „in einem falschen System könne man nichts Richtiges tun“ , spitzt das Problem zu. Es war und ist eine „umkämpfte Frage“ zwischen Philosophen und Theologen, ob Religion im Kontext mit Moral wirklich gemeinschaftsfördernd ist. Nicht nur Theodor W. Adorno, sondern auch Hannah Arendt, die sich vehement für die Wahrheitssuche einsetzte, haben kritisch eingewendet, dass diese verlangte christliches Ethik weltfremd sei und den Menschen überfordere. Aber ist es wirklich so schlimm und so unmöglich, Nächstenliebe zu praktizieren? Wie halten es Menschen heute ganz konkret mit der Nächstenliebe - Gesetze und Religion hin oder her? So habe ich Menschen befragt, wie sie es mit der Nächstenliebe halten und habe aufschlussreiche Antworten erhalten.

Siehe Teil 2, der im nächsten Blog folgt: Wie Nächstenliebe...