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Barbara Strohschein
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Die politische Brisanz von Meinungen über den Klimawandel

Eine Untersuchung über die Argumentationsmuster in der Klimadebatte und deren Wirkung

22. Oktober 2019 · 10 min. Lesezeit · Kategorie: Sinn, Werte

Die politische Brisanz von Meinungen über den Klimawandel

Vorbemerkungen 

Gegenwärtig brisant - die aufgeladene Klimadebatte

Der Klimawandel ist zur Zeit eines der meist diskutierten Themen in Deutschland. Doch keineswegs nur in Deutschland. Mittlerweile ist klar, dass der Klimawandel global wirkt und auch global zur Kenntnis genommen wird. Das war noch vor zwei Jahren nicht vorauszusehen. Proteste der Fridays for Future Bewegung, politisch umstrittene Klimaschutzprogramme, täglich neue Meldungen, Debatten noch und noch. Das Thema ist emotional aufgeheizt, wird kontrovers diskutiert. Man ist sich über die nächsten Schritte zum Klimaschutz weder in der Bevölkerung noch in der Politik einig. 

Doch wie gehen die Menschen mit dem Klimawandel um, die beruflich nichts mit dem Thema zu tun haben? Welche Kritik üben die Klimaskeptiker? Vor welchen Problemen stehen Politiker und Unternehmer in Sachen Klimawandel? Und wie kommen die zahllosen Meldungen über Klimawandel, Klimakatastrophen und Klimaschutz beim Publikum an? Welche Gefühle löst der Klimawandel aus? Sind Kränkungen und unbewusste Widerstände eine Ursache von Problemen in der Kommunikation? Diese Fragen waren für das Design unserer Untersuchung, die auf Tiefeninterviews mit Bürgern und Bürgerinnen aus verschiedenen Berufen und Altersklassen maßgeblich. 

Uns interessiert, wie die Kommunikation über Klima funktioniert, welche unentdeckten Probleme sich in den offensichtlichen Konflikten widerspiegeln und warum die Analyse der Meinungen wichtig für neue Lösungsvorschläge zur Kommunikation über den Klimawandel ist.  

1. Bestandsaufnahme: Klimaskepsis oder Klimaschutz?

Das Hauptthema: Kommunikationsprobleme und -konflikte

Wozu ist Wissenschaft nütze? Nach unserem Verständnis dient sie dazu, Probleme zu erkennen, zu analysieren und zu bewältigen, mit empathischem Blick und theoretischem Fundament.  Mit dieser Grundhaltung begannen wir unsere qualitative Untersuchung zur Kommunikation in Sachen Klimawandel. Es zeigte sich schon bei unseren Vor-Recherchen, dass es Kommunikationskonflikte noch und noch gibt. Streitereien, in denen sich Experten gegenseitig abwerten, Halbwahrheiten, die in den Medien verbreitet werden, aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger, die sich durch Regelungen zum Beispiel in Bezug auf ihre Dieselautos gegängelt und übervorteilt fühlen. Kritik an der Inkonsequenz der Politiker im Umgang mit Klimaschutzmassnahmen - um nur einige Aspekte zu nennen. 

Die Frage nach den Argumentationsmustern der Klimadebatte und den darin sich widerspiegelnden Konflikten ist wahrlich keine Luxusfrage. Denn wenn die Kommunikation nicht funktioniert, wie soll dann Einigkeit über die Maßnahmen entstehen, die entscheidend für den Erhalt unserer Lebensbedingungen sind? Wenn viele aus der Bevölkerung weder die Begriffe noch die größeren Zusammenhänge des Klimawandels verstehen, dann schalten sie ab, von Engagement ganz zu schweigen. Daraus folgt die Frage, wie können Laien effektiv informiert werden? Dazu kommen Tatsachen, die  unabhängig von Meinungen ebenfalls zum Problem werden: Wie soll Klimaschutz funktionieren, wenn die Infrastrukturen dafür fehlen, wie es betroffene Bürger wahrnehmen und kritisieren. 

Auch wenn es erfreulich ist, dass das Thema Klimawandel in der Öffentlichkeit „angekommen ist“, die Kommunikationskonflikte und die Probleme im Umsetzen von Klimaschutzmaßnahmen sind damit keineswegs gelöst. Auch deshalb, weil die Gefühle, die der Klimawandel bzw. auch die Nachrichten darüber auslösen, nicht einfach regulierbar sind oder einfach so abzustellen. 

Unsere Vorgehensweise: Ernstnehmen, was Menschen denken, wissen und fühlen

Wer mit Menschen in Kontakt kommen möchte und wissen will, was sie beschäftigt, muss Vertrauen schaffen. Das ist unserer Erfahrung nach - aus unseren verschiedenen qualitativen Forschungsprojekten -  das Allerwichtigste. Wer nicht vertraut, geht nicht in Kontakt und antwortet auch nicht. Die Gesprächspartner*innen haben wir  im Vorfeld  gut darüber informiert, worauf sie sich im Interview einlassen. Jede/r, Befragte wird bedingungslos respektiert, nicht als Auskunftslieferant, sondern als gesamte Persönlichkeit. 

Durch die Vorarbeiten und die Art der Interviewdurchführung haben wir  Interviewpartner*innen akquirieren und interviewen können, die uns wertvolle Auskünfte gegeben haben. Diese Tatsache war deshalb so wichtig, weil wir die tieferliegenden Gründe für die Meinungsbildung über und das Verhalten dem Klimawandel gegenüber erfahren wollten und nicht nur Oberflächenaussagen, die im Multiple Choice Verfahren mit vorgegeben Antworten oft wenig Aussagekraft haben und für die Ausarbeitung von Lösungswegen nicht ausreichend sind. 

Die Komplexität: Die politischen, psycho-sozialen und kulturellen Aspekte des Klimawandels

Die Meinungen über den Klimawandel implizieren immer auch Aussagen über die Einflussfaktoren, die diese Meinungen indirekt wie direkt prägen: die Lebensgeschichte, der Beruf, Einschätzung der Politik, der Wissenschaft, Werte- und  Zukunftsfragen, Menschenbilder, Informationsquellen. Die Einstellung der Menschen zum Klimawandel ist durch diese Einflussfaktoren logischerweise mitbestimmt, weil das Klimawandel in einem kulturellen und sozialen Kontext rezipiert wird und mit individuellen Gefühlslagen verknüpft wird. Aus diesem Grund haben wir nach diesen umfassenden Themen in den Interviews  gefragt und sind in einen konstruktiven Kontakt mit unseren Gesprächspartnern gegangen. Diese Art der Interviewdurchführungen haben wir über die gängigen Methoden hinaus weiterentwickelt. 

Die Meinungen sind Gegenstand unserer Datenerhebung, die  Aussagen die der Datenanalyse, die Argumente wiederum sind die komplexen Formen der Aussage und Gegenstand der Auswertung.  

Die Reaktion der Interviewten: Endlich fragt mal jemand 

Nun wäre zu vermuten, wie Jakob Augstein es auch in seinem Film „Die empörte Republik“ berichtet hat, dass es nicht einfach sei, Interviewpartner zu finden. Zudem stellt sich auch die Klimadebatte betreffend, die Frage, die Augstein in dem Film aufgeworfen hat: „Wie kann es sein, dass die Empörung so in Nichts läuft?“

Es war für uns nicht schwer, Interviewpartner*innen zu finden. Womöglich spielt das Vertrauen in unsere Absichten und in die Thematik des Projektes eine positive Rolle. Es war jedenfalls so, dass die Angefragten die Chance sahen, zu diesem heißen Thema gefragt und gehört zu werden und sich im Rahmen eines wissenschaftlich fundierten Projektes in Sachen Klima äußern zu können. 

Die Frage hingegen, ob Empörung wie auch die Skepsis ein Motiv für die Bevölkerung ist, sich für Demokratie und Klimaschutz einzusetzen oder auch eben nicht, bleibt so lange offen, wie die Kommunikationsprobleme nicht wenigstens ansatzweise erkannt, akzeptiert, analysiert und gelöst werden. 

Es erschien uns nach den ersten sehr ergiebigen Interviews mit den erklärten Klimaskeptikern naheliegend, die Auswahl an Interviewpartnern auszuweiten. Der Begriff „Skepsis“ erwies sich als ein zutreffender Oberbegriff für die Einstellung vieler Menschen in Bezug auf den Klimawandel, die Motive der Skepsis sind aber unterschiedlich: Die meisten Interviewpartner hatten aufgrund verschiedener Standpunkte kein Vertrauen in die Politik, in die Berichterstattungen und in die Industrie in Bezug auf die Bewältigung der Klimaprobleme. 

Abgesehen davon wurde in den Interviews deutlich, welch kreatives Potenzial in unserer Gesellschaft vorhanden ist: also Ideen, Wissen, Anregungen für Lösungen. 

2. Die Ergebnisse. Wo liegen die Konflikte?

Ein generelles Problem: Skeptisch sind viele, nicht nur die Klimaskeptiker 

Auch wenn Greta Thunberg es in diesem Jahr geschafft hat, viele Menschen, und nicht nur Schülerinnen und Schüler, zu Klimaprotesten auf die Straße zu bewegen: Die Skepsis, dass es gelingt, mit dem Klimawandel konstruktiv umzugehen, ist massiv und weit verbreitet.  Nicht nur die Klimaskeptiker, die in Frage stellen, dass der Klimawandel menschengemacht ist, sind skeptisch, sondern auch viele Menschen aus der Bevölkerung, die wir exemplarisch ausgewählt und befragt haben: Skeptisch, ob Klimaschutz erfolgreich politisch durchzusetzen sei, skeptisch gegenüber den Nachrichten, skeptisch, ob jeder Mensch wirklich etwas zum Klimaschutz beitragen kann usw. usw.

Die Argumentationsmuster: Was in den Meinungen zutage tritt

Trotz der vielen individuellen Unterschiede können wir diese Trends in den Meinungen so zusammenfassen: 

  • Die Kluft: Zwischen Entscheidungsträgern und Bevölkerung: Viele Interviewpartner*innen, vor allem die jungen Menschen, fühlen sich von Politikern und Experten in keiner Weise angesprochen. Politik werde über die Köpfe hinweg gemacht. Zudem sehen sich viele Menschen aus der Bevölkerung in ihren Sorgen und Nöten, aber auch in ihren Kompetenzen nicht wahrgenommen. Die Experten, Wissenschaftler, Nachhaltigkeits- und Umweltexperten würden die Informationen über einschlägigen Fakten, Ergebnisse und Maßnahmen zum Teil in Fachtermini und Fachsprache so vermitteln, daß man sie nicht versteht. Dieses Nicht-Verstehen wird - ausgesprochen und unausgesprochen - als kränkend erfahren. Mit dem Argument: Was sollen wir tun, wenn wir gar nicht (genau) wissen, worum es wirklich geht und wenn wir auf lauter widersprüchliche Aussagen stoßen?
  • Interessenskonflikte- und Vermittlungsprobleme zwischen Experten: Es wurde von den Interviewten kritisiert, dass man sich in Expertenkreisen weit mehr mit Interessenkonflikten herumschlage, als gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Zudem wurde von den Gesprächspartnern bemängelt, dass das Fehlen einer konstruktiven Kommunikation überhaupt nicht als zentrales Problem öffentlich thematisiert und erkannt werde. 
  • Technik, Profit und Machtstreben statt sozialer Verantwortung: Es ginge in den politischen Auseinandersetzungen wie in den Expertendebatten selten oder nie um den „Menschen“, sondern immer nur um Technik, Fachfragen, Wissenschaft, ökonomische und politische Interessen. Von den Bürger werde vor allem verlangt, zu verzichten, zu funktionieren und - krass gesagt - sich zu schämen, wenn sie nicht mitmachen und nichts kapieren.
  • Kritik an den NGOs: Vielen Interviewten ist nicht bekannt, wie viele und welche NGOs sich aktiv für Umwelt- und Klimaschutz engagieren. Die Informationen der NGOs würden vor allem bei den sowieso schon Interessierten landen. Die Interviewpartner, die sich in den Social Medien Foren zu Klimathemen informieren, monieren, wie emotionsgeladen, fordernd, angstmachend und negativ die Inhalte vermittelt werden und wie wenig anscheinend die NGOs mit ähnlichen Zielen zusammenarbeiten. 
  • Kritik an den Medien: Den Informationen über den Klimawandel stehen fast alle Befragten skeptisch gegenüber. Nicht nur, dass widersprüchliche Meldungen verbreitet würden, es werde auch mit moralisierenden Verzichtsappellen und angstschürenden Untergangsszenarien operiert, die schlechte Laune machen. Die Klimadebatten seien zudem hochgradig repetitiv. Immer die gleichen Meldungen! In Anbetracht dieser Tatsache schaltet man ab. 
  • Mißtrauen der Industrie gegenüber: Ihrwird vorgeworfen, sich um Umwelt- und Klimaschutz nicht zu scheren, die Kosten für Klima- und Umweltschutz auf den Bürger abzuladen und menschen- und naturfeindliche Entscheidungen um des Profits willen zu treffen. Es ist vielen Menschen heute leider kaum bekannt, dass es Unternehmen gibt, die sich aktiv für Klima- und Umweltschutz einsetzen.
  • Werte und Zukunftszenarien bezogen auf den Klimawandel: Unsere Fragen nach den Werten wurden als überraschend wahrgenommen und lösten ein konstruktives Nachdenken aus. Werte wie  „Respekt“ und „Solidarität“ sind die Werte, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft und das individuelle Leben als am wichtigsten angesehen sind und wurden am häufigsten genannt - auch in Bezug auf den Klimawandel. Etwa die Hälfte der Befragten gab an, dass sie den Menschen primär für ein soziales Wesen hielten. Die andere Hälfte erwähnte, dass Eigennutz und Gier asoziale Triebe wären, die das System des Kapitalismus geradezu fördere. Ein häufiger Wertekonflikt in Sachen Klima entsteht z.B. dann, wenn jemand von sich ein umweltfreundliches Verhalten abfordert, es aber nicht praktiziert. Da verletzt jemand die eigenen Wertmaßstäbe. Die Zukunft wird von fast allen Interviewten keineswegs als „rosig“ empfunden. Angst und Hilflosigkeit liegen hinter dieser Sichtweise, in der sich unbewusste und reaktualisierte Kindheitserfahrungen widerspiegeln, in denen einst und nicht selten Ohnmachtsgefühle eine Rolle spielten und das Selbstwertgefühl beeinträchtigten. 
  • Lebens- und Berufserfahrungen gespiegelt in den Argumenten: Lebensgeschichte und Beruf spielen in der Tat eine große Rolle, wie jemand mit dem Klimawandel umgeht und welche Meinungen dazu hat. Die interviewten Wissenschaftler und Experten in Sachen Klima gaben die Auskunft, in ihrem Beruf etwas bewirken zu können. Auch wenn sie sich mit Kritik an ihren Ergebnissen auseinandersetzen müssten, sehen sie sich aktiv daran beteiligt, etwas zum Erhalt unserer Lebensbedingungen beizutragen. Auch wenn es Auseinandersetzungen unter Experten gibt, die zum Teil ziemlich aggressiv ausgetragen werden würden, haben Menschen aus diesem Umfeld nicht das Gefühl, nichts bewirken zu können. Die befragten Nachhaltigkeitsexperten beschreiben Fehlentwicklungen in der Energiewende kritisch und geben an, dass sie oft nicht genügend Einfluss hätten, diese Fehlentwicklungen verhindern zu können. Das frustriere. Ihr Engagement und ihre Kritik würden oft nicht ernst- und wahrgenommen. Dennoch wird die Arbeit als sinnvoll und notwendig erlebt. Jemand hingegen, der einen Brotberuf ausübt, wie z.B. Interviewpartner wie Angestellte und Dienstleister, und keine Zeit hat, sich aktiv mit dem Klimawandel zu befassen, fühlt sich ohnmächtig. Die Belastungen im Alltag sind so groß, die Zeit fehle, sich umfassend zu informieren. Zudem seien keine Kriterien vorhanden, um Informationen über den Klimawandel auch richtig einzuschätzen und zu beurteilen. Auch Erziehung spielt eine nachhaltige Rolle für den Umgang mit der Natur und dem Klima. Häufig wurde erzählt, dass es den Eltern wichtig gewesen sei, den Kindern Achtung vor der Natur zu vermitteln. Dies trifft interessanterweise sowohl auf die Älteren als auch auf die Jüngeren zu. Doch wie wirken sich diese Erziehungsprinzipien tatsächlich - fragen wir uns gefragt - auf das Umweltverhalten in der Bevölkerung aus?    
  • Der Mangel an überzeugenden Vorbildern: Nicht wenige Interviewpartner*innen beklagten, dass es an authentischen Autoritätsfiguren in der Klimadebatte fehle, die überzeugen und sich nachahmenswert verhalten würden. Respekt untereinander würde in den öffentlichen Debatten so gut wie gar nicht an den Tag gelegt. Das wirke sich auch aus in der Klimadebatte, in der es gang und gäbe ist, sich gegenseitig abzuwerten, Autoritäten, z.B. aus der Wissenschaft, sind davon nicht ausgeschlossen. 
  • Das Verhältnis zur Natur: Viele Interviewten sind oder waren im Garten gestalterisch tätig und/oder berichteten von beglückenden Naturerfahrungen in der Kindheit.  Die Natur wird als ein freundliches und gestaltbares Gegenüber erlebt. In Konfrontation mit dem Klimawandel hingegen wird, wie es in den Aussagen deutlich wurde, die „Natur“ in Bezug auf das Klima als unbeherrschbar und bedrohlich erlebt. Das Klima sei eine abstrakt wirkende Größe, deren Dynamik nicht beherrschbar sei. Das Klima steht dem Menschen „gleichgültig“ gegenüber. Das wird unbewusst als Kränkung empfunden, nach den drei anderen großen Kränkungen: Die Erde ist nicht im Mittelpunkt des Weltalls (Galilei), der Mensch stammt vom Affen ab (Darwin), wir sind nicht Herr im eigenen Haus (Freud). Diese unbewusst wirkende Kränkung wiederum hat zur Folge, sich hilflos zu fühlen und das eigene umweltfreundliches Verhalten nur als ein „Tropfen auf dem heißen Stein“ zu interpretieren. 
  • Die Wirkung von Gefühlen und SelbstwirksamkeitViele Interviewte beschreiben, dass ihnen die positive Erfahrung der Selbstwirksamkeit fehlt. („Was soll ich denn schon bewirken können!“) Stattdessen spielen Schuld, Scham und Wut eine Rolle: Das Gefühl, mit an den Klima-Katastrophen schuldig zu werden z.B. durch bedenkenloses Konsumverhalten; Scham, nicht das Richtige oder zu wenig tun zu können; Ohnmachtsgefühle und Wut über die Ohnmacht; die Resignation, dass alle Bemühungen sinnlos sind und nichts nützen. Der Eindruck, dass die Mächtigen im Hintergrund alles tun, um ihre ökonomischen Interessen erfolgreich und rücksichtslos durchsetzen und sich nicht darum scheren, dass sie damit auch ihre eigenen Lebensbedingungen immer mehr zerstören. Diese Gefühle heben weder das Selbstwertgefühl noch die Lust, selbstwirksam zu werden, sondern kränken, ohne dass dies bewusst werden muss. Diese negativen Gefühle beeinträchtigen zudem die Lebensfreude, machen lustlos und erzeugen Abwehr, sich mit dem Klimathema befassen zu wollen. Das waren Themen in den Interviews, die in den öffentlichen Debatten nicht thematisiert werden. 

Wir sind der Ansicht, dass derzeitig die Teilnahme, aber auch die Kritik an den Klimademonstrationen wiederum für viele wie ein emotional positiv besetzter Ausweg aus diesem Dilemma ist. Hier kann man sich ohne Probleme engagieren, Position beziehen pro und contra, ein Gemeinschaft erleben und das Gefühl haben, beteiligt und wirksam zu sein. Und das spielt eine große Rolle: denn der Mangel an Selbstwirksamkeit kränkt und demotiviert und das Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit stärkt. Es ist allerdings nicht abzusehen, welche politische und nachhaltige Wirkung die Demonstrationen (wie auch die Kritik daran) langfristig haben werden. 

 3. Vorschläge für die Kommunikation über den Klimawandel 

Was wir hier vorschlagen, sind Hinweise für mögliche Lösungsschritte. Die Hinweise müssten in die Tat umgesetzt, operationalisiert und  institutionalisiert werden, um nicht allgemein und   abstrakt zu bleiben. Das bedeutet auch, dass Kommunikations- und Handlungskonzepte für Experten, für Entscheidungsträger, NGOs, Journalisten u.a. erarbeitet und finanziert und Mittel     und  Wege für die Umsetzung in die Realität zur Verfügung gestellt werden müßten. 

  • Wertorientierte Verbindungen herstellen.Die Kluft zwischen Entscheidungsträgern und Politikern müsste nachhaltig überwunden werden durch neue Foren und Diskursformen. Denn wie und was sollen in einer Demokratie Bürger mitgestalten, wenn sie sich „abgehängt“ fühlen, denn das wirkt kränkend und hat für den Erhalt der Demokratie erheblich negative Folgen. Dieses Phänomen läßt sich in der zunehmenden Akzeptanz von rechtspopulistischen Parteien   ebenso konstatieren und korreliert mit den Problemen,  Klimaschutz umzusetzen. Politiker und Experten können jedoch dazu beitragen, in wertschätzender und aufklärender Weise mit der Zivilbevölkerung zu kommunizieren, mit nachvollziehbaren Statements und Erklärungen, die sowohl einfach verständlich sind wie auch Zusammenhänge herstellen. Werte sind nicht etwas, was man auf ein Verhalten oder eine Aussage „draufsetzt“, sondern im besten Fall die Basis eines integren Handelns und Sprechens. 
  • Zusammenarbeit von Experten mit psychologisch geschulten Kommunikatoren: Eine weitere Lösung wäre es, dass Experten und Entscheidungsträger in Sachen Klimawandel mit Mediatoren und Kommunikationsfachleuten zusammenarbeiten, um die bisher unterschätzten Probleme, die  durch Kommunikationskonflikte entstehen, langfristig zu beheben. 
  • Übersetzung der Fachbegriffe und -sprache. Es ist es dringend notwendig, dass die Fachsprache des Klimawandels in Narrative und in empathieorientierte Alltagssprache von Kommunikatoren übersetzt und dabei auf angsterzeugende Formulierungen sowie Schuldzuweisungen verzichtet wird.
  • Kooperation statt Konkurrenz.Es wäre naheliegend, dass die NGOs miteinander kooperieren, auf Katastrophenterminologien verzichten, ihre Aktivitäten sachlich vermitteln und nicht nur um Spenden bitten, sondern Menschen einladen und motivieren, sich an Umwelt- und Klimaschutzaktivitäten aktiv zu beteiligen, nicht nur an Demonstrationen.
  • Informationen über Klima- und Umweltschutz von Seiten der Industrie: Die Unternehmen, die sich für Klima-und Umweltschutz einsetzen und konkret in diesem Sinn aktiv sind, sollten weit mehr darüber öffentlich kommunizieren als bisher. 
  • Erweiterung der Aus-und Weiterbildung von Journalisten:Wichtig wäre es, in der Aus- und Weiterbildung von Journalisten klare Wertmaßstäbe, ethische Grundsätze und Informationen über psychologische Wirkmechanismen auch in Bezug auf die Klimathemen speziell zu vermitteln und Methoden für gut fundierte Recherchen zu lehren, um den zunehmenden Fake News entgegenzuwirken und so dem zunehmenden Mißtrauen gegenüber dem Journalismus zu begegnen. Es sollte bei den Verantwortlichen in den Medien aus der Mode kommen, dass die Beiträge auf den Foren als „erfolgreich“ akzeptiert werden, die mit negativen und emotional aufgeladenen und mangelhaft recherchierten Berichten punkten. Das garantiert allerdings noch nicht, dass Journalisten, die unter Zeit-und Erfolgsdruck stehen, auch dementsprechend handeln können oder wollen. 
  • Konkretisierung in Werte: Die häufig abstrakt geführten Wertedebatten sollten sich zum einen auch auf den Klimawandel beziehen und konkrete Wertmaßstäbe für Urteile über den Klimawandel und die Klimaforschung und für das eigene umweltfreundliche Handeln beinhalten. Zum anderen sollten in die Wertediskurse lebensgeschichtliche Erfahrungen der Menschen einbezogen und ein Zusammenhang zwischen Werten und sozialer Realität hergestellt werden. (Unter den Fragen: Welche Werte leiten uns? Wie werden Werte gelebt? Welche Werte wirken, ohne dass dies bewusst ist?) Auch hierzu müßten neue Ideen und Gesprächsformen entwickelt werden.  
  • Positive Zukunftsbilder: Warum geht es immer nur um Untergangsszenarien, die in den Klimadebatten allseits beschworen werden? Es wäre in der Kommunikation über den Klimawandel wichtig, ebenso positive Szenarien für die Zukunft zu entwerfen und zu vermitteln, die ermutigen und ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Nicht aus einer Gutmenschen-Haltung heraus ist das wichtig zu bedenken, sondern aus der Kenntnis, wie Worte und Ideen auf die Gefühle und das Verhalten der Menschen wirken. Aus Angst allein entstehen weder Verantwortung noch akzeptable Vorstellungen von einer lebenswerten Welt.
  • Berücksichtigung psycho-sozialer und emotionaler Aspekte:In weiteren Untersuchungen zur Kommunikation in Sachen Klima sollten unbedingt lebensgeschichtliche, soziale und psychologische und nicht nur politische, technische und wissenschaftliche Faktoren berücksichtigt werden, um die kulturelle Komplexität des Klimawandels zu beachten und in der Klimadebatte nicht an der Bevölkerung vorbeizureden. Die Abkoppelung der technologischen, politischen wissenschaftlichen und ökonomischen Faktoren von der menschlichen Existenz und dem, was Menschen brauchen, sind und wünschen, ist so normal geworden, dass kaum noch jemand darüber nachdenkt. Ebenso sind die Gefühlsaspekte, die in der Klimadebatte eine große Rolle spielen, weit mehr zu untersuchen und zu berücksichtigen als bisher. 
  • Erkennen der Potenziale: Viele Menschen aus allen Berufen und Generationen haben Ideen, Vorschläge, sinnvolle Kritik und Wissen. Diese Potenziale sollten unserer Meinung nach durch neue Diskursformen unbedingt zur Kenntnis genommen und genutzt werden. 
  • Einladung zur Mitgestaltung: Wir empfehlen, dass Mitgestaltung in Sachen Klimaschutz erfahrbar gemacht werden sollte in konkreten Aktionen, damit Engagement lustvoll und selbstwirksam erlebt wird. Selbstwirksamkeit hebt Kränkung auf und motiviert zur Mitverantwortung. 

 Das Fazit: Meinungen als Spiegel von Trends und tieferliegenden Konfliktursachen

Auf Meinungen werden politische Entscheidungen aufgebaut. Meinungen entstehen u.a. durch Berichte, die keineswegs immer den Fakten entsprechen. Falschinformationen setzen sich fest und können zum Sprengstoff werden. In Meinungen bzw. Aussagen und Argumenten spiegeln sich Werte, Gefühle, Wissen, Einstellungen, Ansichten wider. Sie sind ein Indikator dafür, wie kollektive Stimmungen entstehen. Insofern ist es wichtig, sich mit Meinungen auseinanderzusetzen, nicht nur in einem oberflächlichen Sinn, sondern im Zusammenhang mit politischen und kulturellen Wirkmechanismen. Es ist jedoch auch entscheidend, nicht allein auf Meinungen politische Entscheidungen aufzubauen. Denn dem Volk „nach dem Maul zu reden“ bedeutet keineswegs, verantwortlich politisch zu handeln. Die Analyse von Argumenten als Meinungskontexte wiederum, ist ein geeignetes Diagnose-Instrument, auf das Lösungsvorschläge aufbauen können. In der Durchsetzung notwendiger Klimaziele sind die Menschen dort abzuholen, wo sie sich befinden. Das eröffnet die Chance, sie davon überzeugen zu können, sich am Erhalt unserer Lebensbedingungen zu beteiligen. Wir können hier gemeinsam kreativ werden und viel bewirken - mit Mut und Engagement, nicht nur mit Skepsis und Kritik. Das Potenzial dazu ist da!

Die Wissenschaftler und Initiatoren

Prof. Dr. Dieter Flader, Kommunikationswissenschaftler und Grundlagenforscher für Psychoanalyse und Dr. Barbara Strohschein als Philosophin und Werteforscherin haben die Klimadebatten über längere Zeit verfolgt und gefragt: Woher kommen die Streitereien zwischen den Experten? Welchen Einfluss haben die Klimaskeptiker? Warum sind die Informationen über den Klimawandel so widersprüchlich? Was sind die psycho-sozialen Hintergründe der Argumente? Mit Klimawissenschaftlern und Experten vom DBU haben sie diese Fragen diskutiert, einen Forschungsantrag beim DBU mit dem Titel „Die sogenannten Klimaskeptiker. Argumentationsmuster und psychosoziale Hintergründe“ gestellt, mit der Untersuchung am 1.2. 2018  begonnen und diese  am 31.7. 2019 abgeschlossen. 

 Im Auftrag der Deutschen Bundesstiftung Umwelt