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Barbara Strohschein
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Brauchen wir Werte – auch im Internet?

Ein Blick in die Welt der Werte und Entwertungen

27. Januar 2015 · 6 min. Lesezeit · Kategorie: Datenethik & digitale Werte, Werte

Brauchen wir Werte – auch im Internet?

Welche unauffälligen Entwertungen finden im Internet statt?
Wie praktizieren wir Anerkennung, statt abzuwerten?

Werte will jeder, unter Entwertungen leiden alle!

Das ist eine Erkenntnis, zu der ich als philosophische Beraterin und Coach in meiner „Philosophischen Praxis für Werte cor amati“ gekommen bin. Werte sind überhaupt nicht abstrakt. Sie sind Teil unserer Kultur und spielen im sozialen Umgang eine wesentliche Rolle, auch wenn dies oft nicht bewusst ist. Unterschiedliche Werte-Vorstellungen verursachen immer und ausweichlich Konflikte. Der eine findet dies oder das „wichtig“, der andere nicht – und schon ist der Streit vom Zaun gebrochen.

Entwertungen finden leider fortwährend statt: Menschen werten sich selbst und andere ab. Auch Fakten, Dienstleistungen, Produkte und Meinungen werden abgewertet. Jemand oder etwas ist „out“ oder „nicht gut genug“. Jemand wird aufgrund seiner Meinungen abgeurteilt oder gar getötet. Etwas oder jemand wird ausgebeutet, zerstört oder verurteilt – und damit massiv abgewertet. In Gewaltakten finden tödliche Entwertungen statt. Und man kann sicher gehen, dass jedem Gewaltakt wiederum Entwertungen vorausgegangen sind.

Es gibt auch indirekte Entwertungen, zum Beispiel im Internet. Sie entstehen durch ungelöste Rechtsfragen oder Rechtsüberschreitungen, durch Überwachung und Intransparenz. Wer seine Rechte nicht kennt und nicht in Anspruch nehmen kann, wer überwacht wird und wessen Daten genutzt werden, wird auch entwertet: Jemanden ein Recht abzusprechen, über jemanden verfügt und in auszunutzen ist auch eine Art der Ab-und Entwertung.

Werte und Entwertungen sind somit nicht nur ein persönliches, sondern auch ein brisantes gesellschaftliches und politisches Thema.

Was sind Werte?

Unter sozialen Werten verstehe ich hier zweierlei: Tugenden und Ideale.

Jeder Mensch hat Tugenden und Ideale verinnerlicht, die ihr/ihm wichtig sind.

Tugenden sind z.B. Fleiß, Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Anständigkeit, Fairness, Ordentlichkeit. Diese Tugenden werden in Familie und Erziehung vermittelt – oder auch nicht, sind wichtig für ein funktionierendes Gemeinwesen.

Tugenden lassen sich überprüfen. Man merkt, wenn jemand nicht höflich, nicht ordentlich und nicht zuverlässig ist, wenn sich jemand streitsüchtig, unanständig und unfair verhält.

Treffen nun Menschen aufeinander, denen verschiedene Werte wichtig sind, liegt der Konflikt auf der Hand.

Ideale sind z.B. Menschlichkeit, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Frieden, Selbstverwirklichung und Solidarität. Ideale sind handlungsleitend und gefühlsbestimmend. Jemand, der das Ideal „Meinungsfreiheit“ für wichtig hält, wird sich womöglich mit jemanden streiten, dem das Ideal „Respekt“ wichtig ist. Wie wäre beides zu vereinbaren? Inwieweit und mit welchen Folgen widersprechen sich diese „Ideale“?

Jede Gesellschaft hat Idealvorstellungen. Heute zählen „Perfektion“ und „Leistung“, früher „Demut“ und „Gehorsam“. „Ideale“ garantieren keineswegs auch ein ideales Leben. Infolge der Idealen der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ sind nicht nur dem Adel die Privilegien abgesprochen worden, sondern viele Köpfe gerollt. Ideale sind Orientierungsbilder, an denen sich Menschen bewusst oder unbewusst ausrichten. Unbewusst einfach deshalb, weil Tugenden und Ideale so selbstverständlich und Ausdruck unserer Kultur sind.

Was sind Entwertungen?

Sehr oft wird etwas oder jemand entwertet, weil bestimmte Wertmaßstäben „nicht erfüllt sind“. Und schon wird abgeurteilt. Die Ab- und Entwertungen spielen sich auf verschiedenen Ebenen ab:

Ab- oder Entwertung kann sich im Inneren eines Menschen vollziehen. „Ich bin nicht gut genug“. „Ich kriege es wieder nicht hin.“ „Ich tauge eigentlich nichts und hoffe, dass es keiner merkt.“

Die Selbstabwertung wird natürlich nicht mitgeteilt. Sie ist tabuisiert. Wer sich selbst abwertet, kann dazu neigen, andere abzuwerten, um sich wenigsten auf diese Weise „mächtig“ zu erleben.

Die Entwertung in Beziehungen geschehen dann, wenn in sozialen Netzwerken jemand jemanden beleidigt, unfair kritisiert, heruntermacht oder massiv angreift. Das geschieht nicht nur direkt und persönlich, sondern häufig anonym, mit berufsschädigenden Folgen. Das nennt man dann Cyperwar oder „neudeutsch“ Shitstorm. Das geschieht nicht nur im Internet, sondern alltäglich und überall.

Die Entwertung im Internet findet jedoch auch indirekt statt. Z.B. dadurch, dass den Usern direkt oder indirekt Rechte abgesprochen werden, dass sie überwacht werden und ihre Daten ausgenutzt werden für ökonomische und politische Zwecke. Wer diese Art von Entwertungen nicht mitkriegt, kann sich auch nicht dagegen wehren.

Anerkennung statt Entwertung, wie auch eine übernationale Datenethik

Jedem Menschen – ausnahmslos – ist es wichtig, anerkannt zu werden. Wer anerkannt wird, fühlt sich verstanden, gesehen, ernst genommen und wertgeschätzt. Gegenseitige Anerkennung schafft ein gutes Klima. Wie lernt man Anerkennung? Der erste Schritt dazu ist, sich der eigenen Stärken bewusst zu werden und die eigenen Schwächen zu erkennen und zu akzeptieren. Dabei können wir uns gegenseitig helfen – durch Verständnis, Akzeptanz und faire Kritik.

Ein weiterer Schritt dahin ist, sich von der Vorstellung zu befreien, perfekt sein zu müssen und keine Fehler machen zu dürfen. Kein Mensch ist – Gott sei Dank – perfekt. Und Fehler sind keine Zeichen von Schwäche, sondern durch Fehler lernen wir. Und faire Kritik ist genauso eine gute Form der Anerkennung wie ein authentisches Lob.

Abgesehen von diesen individuellen Möglichkeiten, könnte ein freiwilliges übernational akzeptiertes Regelsystem geschaffen werden. Ibrahim Evsan und ich plädieren für eine übernationale Datenethik. Dazu würde gehören:

  1. Regeln für einen fairen Umgang.
  2. Aufklärung über die komplexen rechtlichen Sachverhalte in Sachen Datenschutz.
  3. Informationen über die technologischen Möglichkeiten, die den Usern Datenschutz und Datensicherheit bieten.

Die Ethik als philosophische Disziplin bringt allerdings immer ein Problem mit sich. In der Ethik wird ein moralisch verantwortliches Handeln regelhaft gefordert und begründet. Was aber soll geschehen, wenn sich keiner (oder zu wenige) an „Ethik“ orientieren? Oder wenn Interessenskonflikte vorliegen?

Wer hält sich an Regeln, wenn die Regelverletzung nicht sanktioniert wird? Und welche „Strafen“ sollte es dann geben – unabhängig von denen, die juristisch veritabel sind?

Bleibt uns dann unser Gewissen, das wir befragen können? In dem Sinn: Ist das jetzt richtig, was ich tue? Und was geschieht, wenn das Gewissen und die Empathie fehlen – oder aufgrund von vorangegangenen Entwertungen aussetzen?

Eines jedoch ist sicher: Jede Entwertung hat Auswirkungen – auf die eigene Befindlichkeit, auf die Stimmungen in der Gesellschaft und in unserem gesamten politischen System.

Insofern sind Werte alles andere als abstrakt. Und Anerkennung und Respekt sind lebensnotwendig. Wer mit Werten bewusst lebt, kann vermeiden, sich und andere zu entwerten. Das wird nie ganz gelingen, aber ist ein trotzdem ein Ziel, das sich lohnt. Nur durch ein gemeinsames Commitment im Interesse aller könnte Anerkennung zum ethischen Prinzip werden.

Das kann allerdings nicht verordnet werden, sondern dies kann nur jede/jeder für sich selbst entscheiden.

Die ausführliche Fassung des Artikels können Sie hier nachlesen: Werden im unverzichtbaren Internet die User entwertet? Eine Frage der Datenethik.